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"Richten Sie Ihrem Chef bitte aus, daß er sich schämen möge"

Ein Briefwechsel zwischen Rechtsanwalt Heinrich Hannover und dem Bundeskanzler(amt) über die Rehabilitierung und Entschädigung westdeutscher Justizopfer des Kalten Krieges

Ein Briefwechsel zwischen Rechtsanwalt Heinrich Hannover und seinem ehemaligen Kollegen Gerhard Schröder, der heute als Bundeskanzler amtiert und Hannovers Briefe von einem Ministerialdirektor Ernst H. Hüper beantworten ließ, Leiter der Abteilung 1 im Bundeskanzleramt (Zentrales; Innen und Recht; Bund-Länder-Verhältnis).

 

Worpswede,18. 9. 1999

Werter Gerhard Schröder,

ich denke, Du wirst Dich an mich aus gemeinsamer Verteidigertätigkeit in politischen Strafsachen (Oldenburger Buback-Prozeß) und auch sonst erinnern. Ich verbinde mit der Kenntnis Deiner damaligen Haltung die Hoffnung, daß Du endlich dafür sorgst, daß die noch lebenden Opfer der Justiz des Kalten Krieges, die, wie Du weißt, nicht nur in der DDR, sondern auch in der alten Bundesrepublik produziert worden sind, rehabilitiert und entschädigt werden.

Mir liegen die zahlreichen Dokumentationen vor, die von den Initiativgruppen zur Rehabilitierung der Opfer des Kalten Krieges veröffentlicht worden sind. Auch in Deinem Amt liegen sie vor (z.B. die der niedersächsischen Initiativgruppe unter dem Aktenzeichen 414 – K 203 127/99/0003). Ein Herr Jung hat dazu Stellung genommen und auf ein Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 26.März 1999 verwiesen. In diesem Schreiben heißt es:

Die Bundesregierung sieht gegenwärtig keine Veranlassung, in diesem Bereich eine Gesetzesinitiative zu ergreifen. Es bleibt daher abzuwarten, ob seitens der Mitglieder des Deutschen Bundestages, insbesondere der Angehörigen der Koalitionsfraktionen, noch Handlungsbedarf gesehen wird.

Es besteht dringender Handlungsbedarf! Die betroffenen Menschen sind alt, es sterben immer mehr weg. Die Fakten sind nachzulesen in Rolf Gössners Buch "Die vergessenen Justizopfer des kalten Kriegs" und in meinem Buch "Die Republik vor Gericht 1954-1974", beide im Aufbau-Verlag.

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Hannover
 
 

Berlin, den 3. Dezember 1999

Sehr geehrter Herr Dr. Hannover,

der Herr Bundeskanzler hat mich gebeten, Ihnen für Ihr Schreiben vom 18. September 1999 zu danken, in dem Sie für eine Rehabilitierung von Personen eintreten, die nach Vorschriften strafgerichtlich verurteilt worden waren, die durch das 8. Strafrechtsänderungsgesetz aufgehoben wurden.

Ich habe aufgrund Ihres Schreibens Verbindung zum federführenden Bundesministerium der Justiz aufnehmen lassen. Die Prüfung hat sich leider etwas länger hingezogen, so dass ich erst jetzt auf Ihr Schreiben vom 18. September 1999 zurückkommen kann, wofür ich um Ihr Verständnis bitte.

Zu einer verantwortungsvollen Auseinandersetzung mit Fragen unserer Rechtsordnung und mit der Rechtsprechungstätigkeit der Gerichte gehört, dass man die kritischen Fragen nicht nur auf die Zeit des nationalsozialistischen Unrechtsstaates oder auf die Zeit des SED-Unrechts bezieht, sondern dass man sie auch für die Bundesrepublik Deutschland stellt.

Das gilt im besonderen Maße für die durch das Strafrechtsänderungsgesetz vom 30. August 1951 gestalteten Staatsschutznormen und für die darauf beruhende Rechtsprechung in Staatsschutzsachen. Ich brauche nicht näher darzulegen, dass die erwähnten gesetzlichen Bestimmungen aus der damaligen politischen Situation heraus erklärt werden können, dass aber mit Recht sehr kritisch dagegen eingewendet werden muss, dass die damalige Staatsschutzgesetzgebung nicht nur in einzelnen Fällen die Meinungs- und Informationsfreiheit verkürzt, sondern auch begrüßenswerte Kontakte zwischen den Menschen im geteilten Deutschland erschwert hat.

Der Gesetzgeber hat mit der Reform des Staatsschutzstrafrechts durch das 8. Strafrechtsänderungsgesetz vom 25. Juni 1968 die Gesetze korrigiert. Das Straffreiheitsgesetz 1968 vom 9.Juli 1968 hat den Betroffenen Amnestie gewährt. Ich rechne es dem damaligen Bundesminister der Justiz Gustav Heinemann als besonderes Verdienst an, dass er die entsprechenden Gesetzentwürfe vorgelegt hat.

Die genannten, eine aus heutiger Sicht kritisch zu würdigende Rechtslage korrigierenden Rechtsvorschriften erreichen nicht diejenigen, deren rechtskräftig verhängte Strafen bereits vollstreckt waren. Das Bundesministerium der Justiz hat hierzu – wie ich meine mit Recht – darauf hingewiesen, dass einer gesetzlichen, über das Straffreiheitsgesetz 1968 hinausgehenden Rehabilitierung auch dieses Personenkreises entgegensteht, dass eine solche Maßnahme nur durch einen Eingriff der Legislative in die rechtsprechende Gewalt möglich wäre. Das muss um so mehr eine seltene Ausnahme bleiben, als die Strafverfahren, die Sie im Auge haben, unstreitig nach rechtsstaatlichen Grundsätzen geführt worden sind. Sie sind nicht vergleichbar mit Strafverfahren, bei denen man sich auch über die in Verfahrensregeln manifestierten rechtsstaatlichen Garantien hinweggesetzt hat.

Mit freundlichen Grüßen

Ernst H. Hüper

 

16. 12. 1999

Sehr geehrter Herr Ministerialdirektor,

Ihr im Auftrage des Bundeskanzlers an mich gerichtetes Schreiben vom 3.Dezember macht deutlich, daß sich der Herr Bundeskanzler nicht mehr erinnert, welche Erkenntnisse er einst als Verteidiger in politischen Strafsachen gewonnen hatte. Es kann nicht die Rede davon sein, daß die politische Justiz der 50er und 60er Jahre "unstreitig nach rechtsstaatlichen Grundsätzen geführt" worden sei. Ich bestreite die Rechtsstaatlichkeit dieser Verfahren mit Nachdruck, ebenso wie mein Kollege Dr. Rolf Gössner, auf dessen Buch "Die vergessenen Justizopfer des kalten Kriegs" ich Ihren Auftraggeber ebenso hingewiesen habe wie auf mein Buch "Die Republik vor Gericht 1954 – 1974". Und wir sind nicht die ersten, die dies getan haben.

Mir ist bekannt, daß Konservative sich auf Alexander von Brünneck ("Politische Justiz gegen Kommunisten in der Bundesrepublik Deutschland 1949 – 1968") berufen, der die Verletzungen rechtsstaatlicher Grundsätze eindrucksvoll aufgelistet und gerügt hat, aber gleichwohl der bundesrepublikanischen Justiz bei einem Vergleich mit der Terrorjustiz des Nazi-Reichs einen "rechtsstaatlichen Anspruch" bescheinigt hat. Es bedurfte des Vergleichsmaßstabes der Nazijustiz, um zu diesem dürftigen Lob zu kommen. Aber selbst dieser "Anspruch", den Sie im Namen des Bundeskanzlers noch heute aufrechterhalten wollen, ist in der noch von dem Justizpersonal des Hitler-Reichs praktizierten Justiz des kalten Krieges nicht eingelöst worden. Diese Justiz war eine Waffe im kalten Krieg gegen die Sowjet-Union, eine Waffe, die das justizförmige Verfahren – übrigens auch unter vielfacher Verletzung rechtsstaatlicher Verfahrensregeln – dazu benutzte, Kommunisten und solche Personen und Organisationen, die nach den aus der McCarthy-Ära stammenden Begriffen der Kontaktschuld und der Konsensschuld mit ihnen in einen Topf geworfen wurden, aus dem öffentlichen Meinungsbildungsprozeß auszuscheiden. Ich habe auch diese Methodik schon früher genauer analysiert, und zwar in meinem Buch "Politische Diffamierung der Opposition im freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat" (1962), zu dem der von Ihnen zu Recht gerühmte Gustav Heinemann das Vorwort geschrieben hat.

Abwegig – um mich milde auszudrücken – ist auch Ihr Argument, daß eine über das Straffreiheitsgesetz von 1968 hinausgehende Rehabilitierung der von der westdeutschen Justiz des kalten Krieges kriminalisierten Personen einen "Eingriff der Legislative in die rechtsprechende Gewalt" bedeuten würde. Die von mir und anderen als rechtsstaatswidriges justizielles Unrecht gebrandmarkten Urteile hatten, wie Ihrem Auftraggeber nicht unbekannt ist, für die Betroffenen Konsequenzen, deren Aufhebung und "Wiedergutmachung" vom Gesetzgeber dringlich gefordert werden muß. Das gilt insbesondere für die auf § 6 BEG beruhende Aberkennung von Wiedergutmachungsansprüchen für die in der Nazi-Zeit erlittene Zuchthaus- und KZ-Haft. Dieses noch heute andauernde Unrecht gegenüber Menschen, die gegen das Unrechtsregime des Hitler-Staats Widerstand geleistet hatten, muß bei den wenigen, die von den Betroffenen noch leben, schnellstens beendet werden.

Das alles weiß mein ehemaliger Kollege, der Herr Bundeskanzler, sehr gut. Und ich erwarte von ihm, daß er, so unpopulär eine solche Aktivität derzeit auch sein mag, so schnell wie möglich initiativ wird, um den letzten noch lebenden Justizopfern des kalten Krieges, die es eben leider auch in der Bundesrepublik gegeben hat, Gerechtigkeit zu verschaffen.

Herr Kollege Dr. Rolf Gössner und ich werden demnächst auf einer Pressekonferenz den Sachverhalt der Öffentlichkeit unterbreiten und hoffen, dabei über positive Signale aus dem Bundeskanzleramt berichten zu können. Ihr Schreiben vom 3.Dezember ist dazu nicht geeignet.

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Hannover

 

21. März 1999

Sehr geehrter Herr Dr. Hannover,

in Ihren Schreiben vom 16. Dezember 1999 und vom 24. Februar 2000, für die ich Ihnen danke, äußern Sie sehr grundsätzliche Kritik an den in meinem Schreiben vom 3. Dezember 1999 skizzierten rechtlichen Überlegungen zur Frage einer Rehabilitierung der sogenannten "Justizopfer des Kalten Krieges".

Ich bitte Sie um Verständnis und um Nachsicht dafür, dass ich erst heute auf Ihre Schreiben zurückkomme. Die von Ihnen angesprochenen Fragen hielt ich für so bedeutsam, dass ich eine erneute sorgfältige Prüfung durch das Bundesministerium der Justiz und das Bundesministerium der Finanzen habe durchführen lassen. Die Ergebnisse dieser Prüfung sind mir erst dieser Tage zugegangen; dies ist der Grund für mein langes Schweigen.

Es mag sein, dass die zwangsläufige Kürze der Skizze meiner rechtlichen Überlegungen im Schreiben vom 3. Dezember 1999 nicht alle relevanten Gesichtspunkte berücksichtigen konnte. Deshalb möchte ich Ihnen die wesentlichen Ergebnisse der erneuten Prüfung durch das Bundesministerium der Justiz und das Bundesministerium der Finanzen mitteilen.

Zur rechtlichen Ausgangslage sei daran erinnert, dass das 1951 geschaffene politische Strafrecht mit dem 8. Strafrechtsänderungsgesetz vom 25. Juni 1968 in rechtspolitisch gebotener Weise korrigiert worden ist. Im Anschluss daran ist das Gesetz über Straffreiheit (Straffreiheitsgesetz 1968) vom 9. Juli 1968 erlassen worden.

Das Bundesministerium der Justiz betont, es gehöre zum Wesen eines Straffreiheitsgesetzes, dass es bereits vollstreckte Freiheitsstrafen nicht erfassen könne, weil ein solches Gesetz Straftaten nicht ungeschehen machen, Urteile nicht aufheben, sondern nur den Erlass oder die Milderung rechtskräftig erkannter Strafen aussprechen könne. Eine Amnestie löse keine Entschädigungsansprüche aus, weil sie keine strafverfahrensrechtliche Korrektur von Einzelentscheidungen beinhalte.

Das Bundesministerium der Justiz hält es aus Rechtsgründen nicht für möglich, ein Aufhebungsgesetz etwa nach dem Vorbild des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege vom 25. August 1998 (BGBl 1 S. 2501) zu schaffen.

Rehabilitierung einer Gruppe von Verurteilten bedeutet, dass die sie betreffenden Verurteilungen aufgehoben werden. In dem erwähnten Gesetz sind NS-Unrechtsurteile mit ex-tunc-Wirkung aufgehoben worden. Was dort rechtlich möglich war, ist jedoch nach Auffassung des Bundesministeriums der Justiz nicht bei Urteilen möglich, die unter der Geltung des Grundgesetzes ergangen sind. Die Einwirkungsmöglichkeiten des Gesetzgebers auf rechtskräftige Gerichtsurteile, die nach Inkrafttreten des Grundgesetzes in dessen Geltungsbereich erlassen worden sind, seien durch den Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG) und durch das Rechtsstaatsprinzip (Gebot der Rechtssicherheit) verfassungsrechtlich eng begrenzt. Aus dem Gewaltenteilungsprinzip folge, dass jede der drei Staatsgewalten grundsätzlich die von den beiden anderen Staatsgewalten erlassenen Staatsakte anerkennen und als rechtsgültig behandeln müsse. Dies lasse sich für Akte des Gesetzgebers zusätzlich aus Art. 20 Abs. 3 GG und für Rechtsprechungsakte zusätzlich aus Art. 97 Abs. 1 GG ableiten. Eine Aufhebung nachkonstitutioneller Urteile durch ein Gesetz würde außerdem dem Rechtsstaatsprinzip aus der Perspektive der Rechtssicherheit widersprechen. Das Rechtsstaatsprinzip verlange insoweit nicht nur einen geregelten Verlauf des Rechtsfindungsverfahrens, sondern auch einen Abschluss, dessen Rechtsbeständigkeit gesichert ist. Stünden rechtskräftige Urteile nachträglich zur Disposition des Gesetzgebers, wäre Rechtssicherheit im Sinne des Rechtsstaatsprinzips nicht mehr gewährleistet. Dem Bundesministerium der Justiz ist keine Abweichung der Staatspraxis von dem Grundsatz bekannt, dass unter der Geltung des Grundgesetzes erlassene Gerichtsurteile im Hinblick auf das Prinzip der Gewaltenteilung und der Rechtsstaatlichkeit (Rechtssicherheit) durch den Gesetzgeber nicht rückwirkend aufgehoben werden können.

Das Bundesministerium der Justiz hat weiter geprüft, ob ein Regelungsmodell, wie es das strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz in Bezug auf SED-Unrechtsurteile geschaffen hat, als ein Modell für die Aufhebung von Urteilen aufgrund des Staatsschutzstrafrechts von 1951 dienen kann. Es erinnert daran, dass von der Gruppe der PDS/Linke Liste in der 12. und 13. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages eingebrachte Gesetzentwürfe mit dieser Zielsetzung sei nerzeit im Deutschen Bundestag insbesondere wegen der damit vorgenommenen Gleichsetzung von SED-Unrechtsurteilen und rechtsstaatlichen Urteilen der 50iger und 60iger Jahre auf breite und scharfe Ablehnung bei den anderen Fraktionen gestoßen sind. Es gebe keine Anzeichen, dass sich an der Auffassung der Mehrheit des Deutschen Bundestages etwas geändert hat.

Das Bundesministerium der Justiz kommt insgesamt zu dem Ergebnis, dass eine Aufhebung einschlägiger Urteile durch Gesetz oder auf Antrag aus den angedeuteten Rechtsgründen nicht in Betracht kommen könne.

Auf meine Bitte hat das Bundesministerium der Finanzen die von Ihnen betonte Frage einer Änderung des § 6 des Bundesentschädigungsgesetzes erneut geprüft.

Aus seiner ausführlichen Stellungnahme möchte ich nur einige wesentliche Aspekte herausgreifen:

Der Gesetzgeber habe 1968 bei der Schaffung des Straffreiheitsgesetzes 1968 die vorher aufgrund der alten Rechtslage ausgesprochenen und bereits vollstreckten Strafen unberührt gelassen. Diese Entscheidung des Gesetzgebers sei von den Landesentschädigungsbehörden nach einer 1995 durchgeführten Umfrage so aufgefasst worden, dass dann erst recht die auf der früheren Rechtslage aufbauenden Verwaltungsentscheidungen in Entschädigungssachen unangetastet bleiben müssten. Die Landesentschädigungsbehörden hätten sich dabei durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bestätigt gefühlt, das 1961 entschieden hatte, dass § 6 Abs. 1 Nr. 2 BEG verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei. Da die Länder sich in den sogenannten "Zweitverfahrensrichtlinien" darauf verständigt hatten, einmal abgelehnte Anträge nur unter sehr restriktiven Bedingungen erneut aufzugreifen, habe weder das 8. Strafrechtsänderungsgesetz von 1968 noch der im Laufe der Jahre spürbare Wandel in der Beurteilung dessen, was unter dem in § 6 Abs. 1 Nr. 2 BEG genannten "Bekämpfen der freiheitlich demokratischen Grundordnung" zu verstehen sei, die Länderbehörden dazu veranlasst, früher abgelehnte Entschädigungsanträge neu aufzugreifen. Diese Praxis der Länderbehörden sei in einer Vielzahl von Gerichtsurteilen bestätigt worden.

Das Bundesministerium der Finanzen sieht keine Möglichkeit, dass der Bundesgesetzgeber die von Ihnen auch erwogene Änderung des Bundesentschädigungsgesetzes vornimmt. Die ausdrücklich als "Schlussgesetz" bezeichnete substanzielle Änderung des Bundesentschädigungsgesetzes von 1965 sei bis heute unangetastet geblieben. Seit 1965 habe es keine bedeutsame Änderung des BEG mehr gegeben. Daran hätten alle im Bundestag vertretenen politischen Kräfte ausnahmslos festgehalten.

Allerdings weist das Bundesministerium der Finanzen darauf hin, dass nach einer 1999 bei den Bundesländern durchgeführten Umfrage den NS-Verfolgten, die wegen ihrer aktiven Tätigkeit für die KPD von gesetzlichen Leistungen ausgeschlossen worden waren, im Wege des Härteausgleichs nach § 171 Abs. 1 BEG finanziell geholfen worden sei. Dies habe einem gemeinsamen Beschluss der Entschädigungsreferenten der Länder von 1968 entsprochen, den Betroffenen Härteleistungen zu gewähren.

Das Bundesministerium der Finanzen führt aus, angesichts der 30 Jahre langen Erfahrung seit Verabschiedung des BEG-Schlußgesetzes gehe es heute vorrangig darum, Härtefälle außergesetzlich abzumildern. Dem entspreche die Einrichtung von Härtefonds, aus denen bestimmte Opfergruppen in wirtschaftlichen Notlagen einmalige oder laufende Beihilfen erhalten können.

Lassen Sie mich hier wörtlich aus der Stellungnahme des Bundesministeriums der Finanzen zitieren:

"Die Bundesregierung hat für nicht jüdische Verfolgte u.a. eine außergesetzliche Härteregelung, die ‚Richtlinien für die Vergabe von Mitteln an Verfolgte nicht jüdischer Abstammung zur Abgeltung von Härten in Einzelfällen im Rahmen der Wiedergutmachung‘ vom 26.August 1981 getroffen (Bundesanzeiger Nr. 160 vom 29. August 1981). Zusätzlich hat die Bundesregierung im Rahmen des § 8 der Richtlinien (in der Fassung vom 7. März 1988) die Möglichkeit geschaffen, in besonderen Ausnahmefällen über die Eimalbeihilfen hinaus auch laufende Beihilfen aus dem Wiedergutmachungs-Dispositions-Fonds zu gewähren.

Danach ist beihilfeberechtigt, wer aus Gründen politischer Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus oder aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen verfolgt und geschädigt worden sind (§§1, 2 BEG). Die Durchführung der Härteregelung obliegt Bundesstellen.

In § 5 der Richtlinien vom 26. August 1981 wird allerdings an die Regelung des § 6 BEG angeknüpft und verlangt, dass ebenso wie im BEG auch in den Härteregelungen im Falle der in § 6 BEG geschilderten Voraussetzungen eine Beihilfe zu versagen sei. Bei der Ausfüllung des Beurteilungsspielraums, den § 6 Abs. 1 Nr. 2 BEG der Verwaltung eingeräumt hat, geht die Verwaltung jedoch vom heutigen Verständnis aus. Vorstellungen des ‚Kalten Krieges‘ kommen insoweit nicht mehr zur Anwendung."

Ich möchte Sie, sehr geehrter Herr Dr. Hannover, bitten, die ausführliche Mitteilung des Ergebnisses der erneuten sorgfältigen Prüfung auch als Zeichen dafür zu nehmen, dass das Bundeskanzleramt die von Ihnen aufgeworfenen Fragen als sehr bedeutsam ansieht. Denn es geht auch hier um ein Stück Aufarbeitung der Folgen rechtspolitischer Entscheidungen, die schon 1968 korrigiert worden sind. Nach meiner Ansicht wäre es politisch gesehen nicht realistisch, darauf zu setzen, dass eine parlamentarische Mehrheit für Maßnahmen des Gesetzgebers gewonnen wird. Das gilt umso mehr, als solchen Maßnahmen enge verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt sind. Ich sehe jedoch einen weiterführenden Ansatz in der vom Bundesministerium der Finanzen dargestellten Praxis der Entschädigungsbehörden, im Einzelfall mit Härteleistungen zu helfen.

Mit freundlichen Grüßen

Ernst H. Hüper

 

Worpswede, 27.3.2000

Sehr geehrter Herr Ministerialdirektor,

Ihr Schreiben vom 21. März traf bei mir einen Tag nach der Pressekonferenz ein, bei der Herr Kollege Dr. Rolf Gössner und ich die Öffentlichkeit darüber informiert haben, daß der Bundeskanzler sich weigert, für eine Rehabilitierung der westlichen Justizopfer des kalten Krieges zu sorgen. An dieser Entscheidung hat sich, wie Ihrem Schreiben zu entnehmen ist, nichts geändert. Die wortreiche Begründung bildet ein bemerkenswertes Beispiel für die hinreichend bekannte Tatsache, daß Juristen jede von der jeweiligen Obrigkeit gewünschte Entscheidung zu rechtfertigen wissen. Nicht einmal das erbärmliche Argument wird ausgelassen, der Gesetzgeber von 1965 habe die damalige Änderung des Bundesentschädigungsgesetzes, die dessen § 6 unverändert ließ, ausdrücklich als "Schlußgesetz" bezeichnet. Nach diesem Paragraphen waren und sind bekanntlich Menschen, die nach den Paragraphen des politischen Strafrechts verurteilt wurden, nicht entschädigungswürdig. "Das bedeutete, daß ein Kommunist, der fortan den Mund hielt, Wiedergutmachung gewissermaßen als politisches Schweigegeld erhielt. Dieser bis heute gültige § 6 war eine bösartige Erfindung, hatten doch die Kommunisten sich im Widerstand besonders aufgeopfert und viele von ihnen oft jahrelang – manche sogar die ganzen 12 Jahre der NS-Herrschaft – in Zuchthäusern, Straflagern und KZs gesessen und dabei brutale Verhöre und Folterungen durchgestanden" (Christian Pross: Wiedergutmachung. Der Kleinkrieg gegen die Opfer. S.105). Daß man ein noch heute gültiges Gesetz aufheben oder ändern kann, unabhängig davon, welchen Namen ihm der vor 35 Jahren amtierende Bundestag gegeben hat, dürfte auch Ihnen geläufig sein. Die Herstellung von Gerechtigkeit ist immer eine Sache des guten Willens der jeweils herrschenden Machtträger.

Hier geht es um die politische Entscheidung, ob man das auch auf westlicher Seite begangene Justizunrecht aus der Zeit des kalten Krieges als solches erkennen und im Rahmen des Möglichen wiedergutmachen will. Herr Schröder will es nicht, das habe ich zur Kenntnis genommen. Ich bin daher genötigt, deutlicher zu werden, damit der Herr Bundeskanzler sich an die historischen Tatsachen erinnert, die er in seiner Eigenschaft als Strafverteidiger in politischen Strafsachen durchaus gewußt hat.

Die politische Strafjustiz der 50er und frühen 60er Jahre war eine Fortsetzung der nationalsozialistischen Kommunistenverfolgung. Sie verdient nicht den Namen Rechtsprechung, sie war Durchsetzung der Adenauer’schen Politik mit justiziellen Mitteln. Sowohl bei der Formulierung der Gesetze als auch bei deren Anwendung durch die Sonderstrafkammern und den zuständigen Strafsenat des BGH haben "furchtbare Juristen" mitgewirkt, die schon im Nazi-Reich an der Verfolgung von Kommunisten und anderen Widerstandskämpfern beteiligt waren (vgl. Ingo Müller: Furchtbare Juristen. S.210 ff.). Angesehene Juristen auch aus der SPD haben seinerzeit vergeblich auf die schändlichen, freiheitsfeindlichen Urteile hingewiesen, die unter Mitwirkung solcher furchtbarer Juristen und noch im Geiste der Hitler-Zeit gefällt worden sind. Ich verweise nur auf Adolf Arndt, Richard Schmid und den von Ihnen sehr zu Unrecht als Bundesgenossen bemühten Gustav Heinemann, der sich im Grabe umdrehen würde, wenn er wüßte, was heute als SPD-Politik ausgegeben wird. Mein Kollege Dr. Diether Posser – auch er Sozialdemokrat, Sozius von Heinemann und nachmaliger Justizminister in Nordrhein-Westfalen – hat im Düsseldorfer Friedenskomitee-Prozeß (1959/60), wo wir beide als Verteidiger auftraten, den Richtern ins Gesicht gesagt: "Wenn Sie alle unsere Beweisanträge ablehnen, würde ich es ehrlicher finden, unsere Mandanten durch Verwaltungsakt ins KZ einzuweisen, statt uns Verteidiger als rechtsstaatliches Dekor zu mißbrauchen." Deutlicher konnte man den Geist, in dem damals judiziert wurde, wohl nicht brandmarken. Auch die in Urteilsbegründungen jener Jahre häufig wiederkehrende Erwägung, daß man den Angeklagten die Teilnahme an Hitlers verbrecherischem Angriffskrieg gegen die Sowjet-Union strafmildernd zugute gehalten habe, spricht doch Bände.

Damals sind Menschen – übrigens nicht nur Kommunisten – verurteilt worden, die gegen die Remilitarisierung der Bundesrepublik, gegen die Reaktivierung bewährter Nazis im Beamten- und Justizapparat, gegen das KPD-Verbot, gegen das deutsch-deutsche Berührungsverbot, gegen die geplante Atombewaffnung der Bundeswehr und andere Staatsaktionen der in der Adenauer-Ära herrschenden Kräfte opponierten. Das justizpolitische Konzept des damals noch von ehemals aktiven Hitler-Anhängern durchsetzten und beherrschten Staatsapparats ist voll aufgegangen: Deutschland ist wieder ein Staat, von dessen Boden Krieg ausgehen kann. Für alle, die, wie ich, als Pazifisten und aktive Kriegsgegner aus dem 2. Weltkrieg zurückgekehrt sind, eine beängstigende Entwicklung. Ich gehöre auch zu denen, die von der freiheitlich-demokratisch konzipierten Bundesrepublik erwarteten, daß sie denen, die dem Nazi-Regime Widerstand geleistet hatten und dafür verfolgt und eingesperrt wurden – und das waren in erster Linie Kommunisten! – Gerechtigkeit angedeihen lassen würde. Diese Gerechtigkeit ist die Bundesrepublik den Kommunisten schuldig geblieben. Sie wird ihnen noch heute mit stillschweigender oder ausdrücklicher Billigung einer in historischer Unwissenheit und tradiertem Antikommunismus verharrenden Mehrheit verweigert.

Ich kann und will hier nicht wiederholen, was ich in meinem Buch "Die Republik vor Gericht 1954 – 1974" an konkreten Erfahrungen mit der westdeutschen Justiz der 50er und 60er Jahre zusammengetragen habe, oder was in Rolf Gössners Buch "Die vergessenen Justizopfer des kalten Kriegs" nachzulesen ist. Ihr Brief macht hinreichend deutlich, daß der Sozialdemokrat Schröder nichts an den noch immer existenten Auswirkungen der in der Ära des CDU-Kanzlers Konrad Adenauer ergangenen Unrechtsurteilen ändern will. So werden auch die letzten noch lebenden Opfer einer verfehlten Gesinnungsjustiz die materiellen Folgen ihrer Verurteilung bis an ihr Lebensende tragen müssen. Das sind keine "Härtefälle", in denen so etwas wie Gnade zu walten hätte, sondern diese Menschen sind die Opfer einer Justiznachhut des Nazi-Staats, deren Täter sich keine Sorgen um ihre wohldotierten Pensionen zu machen brauchten.

Die historischen Fakten sind zwar noch nicht im öffentlichen Bewußtsein, aber es gibt hierzulande Politiker, die sie kennen und auch die Macht hätten, den Unrechtszustand wenigstens für die Zukunft und für die wenigen Betroffenen, die noch leben, zu ändern. Dies wird, wie ich Ihrem Schreiben entnehme, mit fadenscheinigen Gründen verweigert. Richten Sie Ihrem Chef bitte aus, daß er sich schämen möge.

Mit freundlichen Grüßen Heinrich Hannover

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